Cyberstalking — Digitale Kontrolle als Gesundheitsrisiko: Die Rolle von Fachkräften im Gesundheits- und Sozialwesen
Digitale Medien sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Sie verbinden uns, schaffen Nähe und ermöglichen Kommunikation. Doch genau diese digitalen Techniken können zur Kontrolle und Überwachung genutzt werden. Cyberstalking (auch als Digital Stalking oder Onlinestalking bezeichnet) ist digitale Gewalt, die oft unsichtbar bleibt und im Hintergrund wirkt. Sollte jedoch das Ausmaß des digitalen Stalkings von Betroffenen erkannt werden, bricht sofort das Vertrauen und das Gefühl von Sicherheit zusammen. Körper, Geist und Seele geraten aus dem Gleichgewicht und genau diese gesundheitlichen und sozialen Folgen werden von Cybersecurity Experten und Traumaforschern beobachtet.
Stellen Sie sich vor, eine Person aus Ihrem engsten Umfeld hat heimlich Zugriff auf Ihr Handy, liest Ihre Nachrichten live mit, belauscht Ihre Alltagsgespräche, hört Ihren Telefonaten zu, hat Zugriff auf alle Passwörter, Fotos, Suchverläufe — alles, was sie für sich behalten wollten. Fühlen Sie noch Sicherheit oder spüren Sie, wie tief dieses Eindringen in Ihre Privatsphäre, Ihr Vertrauen erschüttert?
Was ist Cyberstalking?
Im deutschen Recht wird Cyberstalking als wiederholte, gezielte und digitale Kontrolle, Überwachung und Nachstellung einer Person bezeichnet. Cyberstalking ist strafbar. In Deutschland fällt Cyberstalking unter den Strafbestand der Nachstellung gemäß § 238 StGB. Das heimliche Installieren von Überwachungs-Apps, sei es Stalkerware oder missbräuchlich eingesetzte Spy Software, stellt eine Form digitaler Gewalt und einen strafbaren Eingriff in die Privatsphäre dar. Fachstellen für Opferschutz wie der Weisse Ring e.V. betonen, dass diese Form von Gewalt ernst genommen werden muss.
Cyberstalking unterscheidet sich grundlegend von schutzmotivierten digitalen Handlungen, etwa wenn Eltern den Standort ihrer minderjährigen Kinder aus Sicherheitsgründen prüfen. Entscheidend ist die Absicht. Bei Cyberstalking handelt sich um unerwünschte digitale Eingriffe, die auf Kontrolle, Machtmissbrauch und gezielte Manipulation abzielen. Betroffene Personen von Cyberstalking werden in ihrer Freiheit und Sicherheit stark beeinträchtigt. Studien und Berichte von Fachstellen wie dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) oder Beratungsstellen wie der Initiative gegen digitale Gewalt klären auf, dass Täter häufig Partner, Ex-Partner oder enge Bezugspersonen sind.
Technische Mittel und Machtmissbrauch
Cyberstalking nutzt gezielt technische Mittel. Häufig beginnt diese Form von Gewalt dort, wo eigentlich Vertrauen sein sollte. Die Fachstelle der Polizei verdeutlicht in aller Deutlichkeit, dass der Täter meist Zugang zu den Geräten, vor allem Smartphones, Passwörtern oder Konten hat — oft, weil diese in der Beziehung oder Freundschaft vertrauensvoll geteilt wurden. Genau dieses Vertrauen wird missbraucht und ermöglicht den Zugriff auf die Geräte der gestalkten Person, etwa auf ihr Smartphone, ihren Computer oder ihr Tablet. Dadurch können Überwachungs-Tools unbemerkt installiert werden.
Technische Fachstellen wie das IT-Sicherheitsunternehmen Kaspersky, die sich mit der Analyse und Bekämpfung von Stalkerware beschäftigen, weisen darauf hin, dass zu den Überwachungswerkzeugen unter anderem Spyware, Stalkerware, Tracker, Remote-Access-Tools, Keylogger und Account-Übernahmen gehören. All diese Methoden kombinieren technischen Zugriff mit psychologischem Vertrauensmissbrauch. Sie dienen dazu, Informationen über die digital gestalkte Person zu sammeln, Standorte zu verfolgen und Kontrolle und Macht auszuüben. Des Weiteren betont Kaspersky im aktuellen ,,State of Stalkerware” Report, dass betroffene Personen häufig gar nicht merken, was im Hintergrund passiert und dass sie gestalkt werden.
Typische Methoden des Cyberstalkings umfassen GPS oder App basierte Standortüberwachung, macht Kaspersky öffentlich sichtbar und und weist darauf hin, dass auch das heimliche Mitlesen von Nachrichten, E-Mails oder Chats, die Fernsteuerung von Geräten, einschließlich Mikrofon und Kamera sowie der Zugriff auf Kontakte, Termine, Fotos, Dateien und andere private Daten zu den häufig eingesetzten Techniken gehören.
Warum Fachkräfte im Gesundheits- und Sozialwesen sensibilisiert sein sollten
Fachkräfte aus dem Gesundheits- und Sozialwesen sollten für das Thema Cyberstalking sensibilisiert sein, denn digitale Gewalt trägt schwer auf Körper, Psyche und sozialen Beziehungen. Wenn Betroffene erkennen und verstehen, dass sie digital gestalkt werden, bricht nicht nur das soziale Vertrauen, sondern auch das Vertrauen in die eigene Sicherheit zusammen. Dies kann verheerende gesundheitliche Folgen haben.
Der renomierte Traumforscher Bessel van der Kolk zeigt, dass der Verlust von Vertrauen und der heimliche Eingriff in die intime Privatsphäre nicht nur psychisch, sondern vor allem über das autonome Nervensystem und den Körper wirkt. Entscheidend ist dabei nicht das digitale Stalking selbst, sondern der Machtverlust über die eigene Privatsphäre und das eigene Leben, den digital gestalkte Menschen erfahren. Das grundlegende Vertrauen wird verletzt und die betroffene Person fühlt sich entblößt und schutzlos. Dieser extreme Eingriff in die Autonomie erzeugt die leidenden Symtome. In seinen Büchern, z.B. Das Trauma in dir — Wie der Körper den Schrecken festhält und wie wir heilen können, beschreibt Bessel van der Kolk, dass Machtverlust, Kontrollverlust und Verletzungen des Vertrauens massive psychische und physische Folgen haben. Er macht erschütternd klar, wenn das Urvertrauen (das grundlegende Gefühl von Sicherheit) oder das soziale Vertrauen (das Vertrauen in die Verlässlichkeit und das Wohlwollen anderer Menschen) massiv verletzt wird, bleibt das Nervensystem dauerhaft in Alarmbereitschaft, selbst wenn objektiv keine akute Gefahr besteht. Er beschreibt dies als Kernmerkmal traumatischer Erfahrungen. Das autonome Nervensystem besteht aus Sympathikus und Parasympathikus. Es ist darauf ausgelegt Gefahren schnell zu erkennen, um den Körper zu schützen. Bei hochgradigen überwachenden Erfahrungen, wie sie beim Cyberstalking auftreten, bleibt der Sympathikus dominant aktiv während der Parasympathikus blockiert. Dadurch gelangt der Körper nicht mehr in einen entspannten Zustand und es ist keine Erholung und Regeneration mehr möglich. Das Nervensystem lernt insbesondere nach digitaler Gewalt, dass Sicherheit nicht mehr existiert, weil der Angriff unsichtbar, unvorhersehbar und technisch ausgeführt wird. Ein dauerhaft überaktiviertes Nervensystem führt zu tiefgreifenden Folgen. Bessel van der Kolk beschreibt, dass der Körper quasi im Gefahrenmodus gefangen bleibt und dadurch das eigene Gefühl von Kontrolle und Sicherheit geschädigt wird. Zudem verzerrt digitale Kontrolle und Machtmissbrauch auch die Selbstwahrnehmung, was zu ständigem Zweifel an sich selbst führt. Betroffene Personen erleben sich selbst nicht mehr als kompetent, sondern als unsicher und permanent gefährdet. Diese verzerrte Selbstwahrnehmung führt dazu, dass Betroffene sich fragen, ob das Erlebte wirklich so schlimm war oder ob sie übertreiben. Zudem bricht das eigene Bauchgefühl weg, weil Betroffene den eigenen Wahrnehmungen nicht mehr trauen. Intuitionen, innere Grenzen und körperliche Warnsignalen verlieren ihre Klarheit und wirken nicht mehr zuverlässig. Dadurch kann dem eigenen Bauchgefühl nicht mehr vertraut werden. Hinzukommen Gefühle wie Schuld, Scham, Versagen und Ohnmacht, obwohl Betroffene Personen keinerlei Schuld tragen. Das ständige Kontrollverlustgefühl führt zu Passivität, Rückzug, Erschöpfung und Überforderung. Bessel van der Kolk und andere Traumaforscher unterstreichen eindringlich, dass diese Selbstzweifel kein Charakterproblem, sondern die indirekte Folge eines Nervensystems sind, das Dauerstress nicht mehr regulieren kann.
Da sich die gesundheitlichen Folgen von Cyberstalking auf mehrere Ebenen zeigen, kommen Betroffene häufig mit Symptomen, die typisch für Traumafolgen sind, zu Fachkräften im Gesundheits- und Sozialwesen. Wenn Menschen manipuliert werden, ihr Vertrauen gebrochen wird oder jemand tief in ihre Privatsphäre eingreift, reagieren Körper, Geist und Seele. Bessel van der Kolk macht unmissverständlich deutlich, dass nach psychischer und physischer Gewalt, posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen, Angstzustände, Schlafstörungen und innere Unruhe häufig auftreten. Alle Formen von Machtmissbrauch verändern das Nervensystem nachhaltig. Auf körperlicher Ebene können chronische Anspannung, Muskelverspannungen, Herzrasen und psychosomatische Beschwerden entstehen. Fachstellen wie die Deutsche Gesellschaft für Psychotrauma (DeGPT) betonen, dass anhaltender Machtmissbrauch und Vertrauensbruch zu sozialer Isolation, Misstrauen gegenüber anderen Menschen und Einschränkungen der Selbstbestimmung führen. Diese Reaktionen gelten als typische Folgen von Cyberstalking. Die Folgen verdeutlichen, warum Fachkräfte die Auswirkungen von digitaler Gewalt kennen sollten.
Die Fachgruppe Trauma und System der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie und Beratung (DGSF) betont in ihren Fachinformationen, dass Fachkräfte im Gesundheits- und Sozialwesen bereits über fundiertes Wissen über Stressreaktionen verfügen. Auf Basis ihres Fachwissens können sie auf evidenzbasierte Methoden zurückgreifen, um Betroffene umfassend zu unterstützen. Dazu gehören beispielsweise psychotherapeutische Ansätze, wie Traumatherapie und kognitive Verhaltenstherapie, die helfen, Vertrauen und Selbstwirksamkeit wiederaufzubauen, während körperorientierte Ansätze wie Physiotherapie, Bewegungstherapie, Yoga oder Atemübungen das Nervensystem beruhigen und körperliche Stresssituationen abbauen. Ergänzend kann die Begleitung in Beziehungen, Aufklärungen über digitale Gewalt und die Einbindung von Selbsthilfegruppen dazu beitragen, Isolation zu reduzieren, die Selbstbestimmung zu stärken und die psychosoziale Stabilität wiederherzustellen. Deutsche Experten wie Prof. Dr. Michaela Coenen und Prof. Dr. Wolfgang Gaebel betonen, dass auf dieser Grundlage die Recovery der Betroffenen gezielt gefördert werden kann. Sie heben hervor, dass die Betroffenen dadurch die Fähigkeit zurückgewinnen, trotz traumatischer Erfahrungen wie digitaler Kontrolle, ihr Selbstvertrauen, ihre Autonomie und ihre Lebensqualität wiederherzustellen. Fachkräfte begleiten damit die Rückkehr in ein selbst bestimmtes, handlungsfähiges Leben.
Fazit
Cyberstalking ist gefährlich, weil es zunächst unsichtbar bleibt. Die Überwachung findet hinter den Kulissen statt, über Geräte, die wir täglich nutzt und denen wir vertrauen. Cyberstalking ist keine harmlose online Spielerei, sondern ein strukturelles Gewalt- und Machtinstrument, welches strafbar ist. Die Kombination daraus, dass die Täter oft Partner sind, Menschen, denen man vertraut, häufig aus dem direkten sozialen Umfeld stammen und zugleich technische Überwachungsmethoden einsetzen, macht Cyberstalking zu einer besonders zerstörerischen Form digitaler Gewalt. Wird die intimste Privatsphäre heimlich verletzt, erschüttert dies das grundlegende Vertrauen in sich selbst, aber auch in andere Menschen. Es trifft den Kern des Urvertrauens. Cyberstalking bedeutet nicht nur, dass Täter jeden Schritt über die Standortüberwachung verfolgen. Stalkerware ist in der Lage Telefonate mitzuhören, Nachrichten auszulesen, Fotos und Videos zu manipulieren und Dateien eines Gerätes zu spiegeln. Selbst scheinbar harmlose Alltagsdaten wie Suchbegriffe, Kalendertermine oder Apps können vollständig offenliegen. Würde es Sie kalt lassen zu wissen, dass ein Mensch, der ihr Vertrauen missbraucht hat, gestern genau wusste, wo Sie waren, mit wem Sie was besprochen haben, welchen Gedanken Sie aufgeschrieben haben? Fühlt es sich das plötzlich unglaublich verletzend an?
Fachstellen für Opferschutz und Cybersicherheit sowie Traumaforscher warnen ausdrücklich davor, dass durch digitales Stalking das Vertrauen, die Sicherheit und die Gesundheit erschüttert werden. Cyberstalking dient der Kontrolle, nicht der Fürsorge. Hier zeigen sich dann häufig die psychischen, physischen und sozialen Folgen, denen Fachkräfte später im Gesundheits- und Sozialwesen begegnen.
Wer überwacht wird, verliert nicht nur seine digitale Privatsphäre, sondern häufig das Gefühl von Autonomie und Selbstbestimmung. Genau deshalb braucht es sensibilisierte Fachkräfte im Gesundheits- und Sozialwesen, die verstehen, wie gravierend die gesundheitlichen Folgen sein können. Fachkräfte sind von besonderer Bedeutung, denn sie nehmen Betroffene ernst, bieten Schutz und stärken sie. Gleichzeitig spielen sie eine entscheidende Rolle dabei, digitale Gewalt sichtbar zu machen und ihr wirksam zu begegnen.
Auch wenn der Schrecken tief sitzt, können Betroffene Schritt für Schritt ihr Vertrauen und ihre Stärke zurückgewinnen.

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