Was ist Stress? Eine Psychoedukation über Körper, Geist & Seele





Stress ist ein natürlicher Bestandteil des Lebens und eine der am besten erforschten Reaktionen im menschlichen Organismus. Die moderne Stressforschung wurde vor allem durch den Arzt und Wissenschaftler Hans Selye geprägt, der in den 1930er-Jahren erstmals systematisch beschrieb, wie der Körper auf Belastungen reagiert. Seine Erkenntnis, dass Stress eine biologische Schutzreaktion ist, bildet bis heute die Grundlage für unser Verständnis. Stress ist also keine Schwäche, sondern ein angeborenes System, das uns auf Herausforderungen vorbereitet.


Äußere und innere Auslöser

Selye zeigte, dass Stress entsteht, wenn wir eine Situation als überfordernd oder bedrohlich erleben. Spätere Forscher wie Richard Lazarus ergänzten dieses Bild, indem sie erklärten, dass Stress nicht allein durch äußere Umstände entsteht, sondern vor allem durch die Bewertung einer Situation. Stress entsteht also nicht nur durch, was passiert, sondern wie wir es innerlich interpretieren. Diese Erkenntnis wird in der Psychologie als transaktionales Stressmodell bezeichnet und ist heute zentral für Therapie, Coaching und Psychoedukation.

Auch innere Faktoren prägen unser Stresserleben, zum Beispiel Perfektionismus, hohe Erwartungen an sich selbst oder die Angst, Fehler zu machen. Diese Perspektive wurde unter anderem durch die Arbeiten von Susan Folkman vertieft, die zeigten, wie individuelle Bewältigungsstile und persönliche Ressourcen beeinflussen, ob eine Belastung als Stress erlebt wird oder nicht.

Wenn das Gehirn eine Situation als bedrohlich bewertet, schaltet der Körper, wie Selye es beschrieb, auf Alarm. Die Neuroendokrinologie hat dieses Wissen in den letzten Jahrzehnten weiter ausgebaut. Besonders der Neurowissenschaftler Bruce McEwen prägte den Begriff der „Allostatischen Last“, der beschreibt, wie wiederholter oder chronischer Stress den Körper belastet. Seine Forschung zeigte eindrücklich, dass Stresshormone wie Cortisol Herz, Stoffwechsel, Immunsystem und Gehirn beeinflussen. Auch der Biologe und Autor Robert Sapolsky, machte verständlich, dass unser moderner Stress oft keine akute Gefahr ist, aber unser Körper dennoch reagiert, als müsste er um sein Leben kämpfen.


Stress verändert Gefühle und Wahrnehmung

Unter Stress schüttet der Körper Hormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol aus. Neurowissenschaftler wie Bessel van der Kolk und Porges (Polyvagal-Theorie) erklärten, wie dabei das autonome Nervensystem aktiviert wird und warum wir in Kampf-, Flucht- oder Erstarrungsreaktionen fallen. Diese biologischen Mechanismen erklären, weshalb Stress körperliche Symptome wie Herzrasen, Magenbeschwerden oder Verspannungen auslöst.

Auch das Denken verändert sich messbar. Lazarus und Folkman zeigten, dass Stress gedankliche Bewertungsprozesse beeinflusst, wodurch sich unser Fokus verengt und negative Gedanken dominanter werden. Moderne neuropsychologische Forschung bestätigt, dass im Stress Gehirnregionen wie der präfrontale Cortex, der zuständig für klare Entscheidungen und rationales Denken ist, schlechter arbeiten, während ältere Hirnstrukturen wie die Amygdala stärker aktiviert sind. Forschende wie Joseph LeDoux trugen entscheidend dazu bei, diese Mechanismen zu verstehen.

Auf emotionaler Ebene wirkt Stress ebenso tiefgreifend. Van der Kolk und Porges erklärten anhand moderner Traumaforschung, warum Gefühle intensiver erscheinen und warum Menschen im Stress häufig den Kontakt zu ihren Bedürfnissen verlieren. Stress entsteht dann nicht nur im Körper, sondern beeinflusst das gesamte innere Erleben.

Kurzfristiger Stress ist laut Selye und vielen nachfolgenden Forschern völlig unproblematisch und kann sogar leistungssteigernd sein. Problematisch wird Stress jedoch dann, wenn er chronisch wird. McEwens Arbeiten zur allostatischen Last zeigen klar, dass dauerhafte Überlastung zu körperlicher und psychischer Erschöpfung führt. Symptome wie Müdigkeit, Reizbarkeit, emotionale Instabilität oder Burnout sind daher keine Zeichen persönlicher Schwäche, sondern Ausdruck eines überbeanspruchten biologischen Systems.


Stress verstehen heißt sich selbst verstehen

Psychoedukation über Stress ist deshalb so wertvoll, weil sie Menschen hilft, diese Prozesse zu verstehen. Wenn klar wird, dass Stress aus biologischen Mechanismen, Bewertungsprozessen und emotionalen Reaktionen entsteht, verschwinden Schuldgefühle und Selbstkritik häufig von selbst. So wird Stress nicht mehr als persönliches Versagen erlebt, sondern als Signal des Körpers, der Unterstützung benötigt. Forschungen von Lazarus, Folkman, McEwen und vielen modernen Experten zeigen, dass Menschen deutlich besser mit Stress umgehen können, wenn sie verstehen, was in ihnen passiert. Genau dieses Wissen macht selbstbewusster, handlungsfähiger und mitfühlender mit sich selbst.

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